Eine Schweizer Antwort auf ein globales Problem
Die Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen: überlastete Netze, Siedlungsdruck, hohe Kosten und wachsende Anforderungen an die Nachhaltigkeit. Vor diesem Hintergrund stösst die Vakuum-Technologie für Transportsysteme, für die das Swissmetro-Projekt die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen geschaffen hat, international auf immer grösseres Interesse. Allerdings können Ansätze, die auf extreme Geschwindigkeiten ausgerichtet sind, den Gegebenheiten und spezifischen Bedürfnissen der Schweiz nur schwer gerecht werden. «Wir glauben nicht an eine importierte Lösung. GRIPIT geht von unserer Realität aus und will ein System entwickeln, das unser Land, unsere Gesellschaft und unsere Ansprüche bezüglich Nachhaltigkeit berücksichtigt», erklärt Olivier Naef, Leiter des Fachbereichs Ingenieurwesen und Architektur der HES-SO.
Ein völlig neuartiger interdisziplinärer Ansatz
GRIPIT, das Akronym für Groupe de Recherche Interdisciplinaire en Projet Innovant de Transport, verbindet die Hochschulen für Ingenieurwesen und Architektur von Freiburg, Genf, Wallis und der Waadt. Das Projekt, das über drei Jahre mit einer Finanzierung von 1,5 Millionen CHF ausgestattet wurde, ist in zwei Achsen gegliedert:
- Achse 1: Erforschung eines systemischen Ansatzes, der die technischen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Dimensionen integriert, in Zusammenarbeit mit allen Stakeholdern
- Achse 2: Technologische Entwicklung von multifunktionalen Strukturen sowie Antriebssystemen, Magnetschwebe- und aerothermischen Systemen
Schweizer Demonstratoren, um die Mobilität von morgen zu testen
Das GRIPIT-Projekt hat konkret an der Entwicklung elektromechanischer Technologien gearbeitet, die digital und experimentell mit zwei speziell für diesen Zweck entworfenen und getesteten Demonstratoren überprüft wurden. In Sion wurde auf einer 100 Meter langen Teststrecke Ohwaboo getestet: ein experimentelles Fahrzeug mit passiver Magnetschwebetechnik, das dank eines neuartigen Antriebs in einer Sekunde auf eine Geschwindigkeit von 130 km/h beschleunigen kann.
Die Tests mit dem MoLinHo-Fahrzeug ermöglichten die Validierung einer Antriebstechnologie mit einem homopolaren Linearmotor, dessen Entwicklung in Kombination mit einem hybriden Schwebesystem eine Premiere in der Schweiz darstellt. Dieser Technologie-Demonstrator, der für den Transport einer Nutzlast von 100 kg ausgelegt ist, ebnet den Weg für verschiedene Anwendungen, insbesondere im Eisenbahnbereich, die sich kurzfristig konkretisieren könnten.
Die im Rahmen des Projekts entwickelten multidisziplinären Modelle sichern der HES-SO einen Platz auf der technologischen Bühne in Europa und weltweit. In Zürich ist das GRIPIT-Projekt mit der zukünftigen Plattform DemoTube verbunden: einer von Eurotube entwickelten Testanlage mit einer 130 Meter langen Röhre. Sie wird es ermöglichen, die Integration der entwickelten Technologien wie etwa multifunktionale Strukturen, Antriebs- und Schwebesysteme sowie das aerothermische Verhalten unter realitätsnahen Bedingungen in grösserem Massstab zu testen.
Eine interdisziplinäre, realistische und nachhaltige Vision der Mobilität
GRIPIT hat nicht nur die technologische Leistungsfähigkeit im Visier, sondern will auch sicherstellen, dass sich die zukünftige Infrastruktur harmonisch in die Landschaft einfügt, wirtschaftlich tragfähig ist, von der Bevölkerung akzeptiert wird und mit den bestehenden Verkehrssystemen kompatibel ist. «Was wir vorschlagen, ist keine technische Utopie, sondern eine realistische Vision, die getestet wurde und auf die spezifischen Bedürfnisse der Schweiz abgestimmt ist», betonen die an der Forschungsgruppe beteiligten Professoren. Im GRIPIT-Projekt wird ein neues Modell für das Mobilitätsmanagement entwickelt. Dank neuen Technologien und einem interdisziplinären Ansatz konnte ein strukturierter Prozess erarbeitet werden, um zukünftige Verkehrssysteme zu entwerfen, zu testen und zu validieren. In Zusammenarbeit mit Betreibern, Behörden und Fachpersonen wird es dieser Prozess ermöglichen, Projekte zu optimieren, indem Leistung, Sicherheit, Nachhaltigkeit, Kostenkontrolle und soziale Akzeptanz in Einklang gebracht werden. Im Rahmen des GRIPIT-Projekts konnten überdies die strategischen Technologien identifiziert werden, die bereits heute entwickelt werden müssen, um die Mobilität von morgen verwirklichen und bewältigen zu können.
Nächste Etappen
Das GRIPIT-Projekt ist auf dem internationalen Kongress MAGLEV 2024 auf grosses Interesse gestossen, wodurch Kooperationen mit mehreren Ländern, darunter Deutschland, Italien, Frankreich, Schweden und Brasilien, aufgenommen werden konnten. Die nächste Etappe besteht nun darin, die Ergebnisse in der Schweiz den Akteuren des Verkehrssektors vorzustellen, um zu untersuchen, wie dieser innovative Ansatz dazu beitragen kann, unsere Mobilitätssysteme neu zu überdenken. Gleichzeitig müssen die entwickelten Technologien in der Praxis getestet und um neue Elemente erweitert werden – immer mit dem Ziel, einen konkreten Mehrwert für unsere zukünftigen Verkehrsnetze zu schaffen.
Das GRIPIT-Projekt wird von einer fachübergreifenden Expertengruppe der HES-SO geleitet:
- Prof. Samuel Chevailler – HES-SO Valais-Wallis - Hochschule für Ingenieurwissenschaften - HEI
- Prof. Vincent Bourquin – Hochschule für Technik und Architektur Freiburg – HTA-FR
- Prof. Patrick Haas – Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur, Genf (HEPIA)
- Prof. Joël Cugnoni – Haute Ecole d'Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud – HEIG-VD